Von Sprachenvielfalt, Missverständnissen und Menschlichkeit
Am 26. September ist Tag der Sprachen! Daher haben wir Mathias, Lehrer für Basisbildung und Alphabetisierung, gefragt, ob er uns einen Einblick in seinen Kursalltag gibt. Wie ist es, Menschen mit Fluchthintergrund, die viele verschiedene Erstsprachen sprechen, auf Deutsch Schreiben und Lesen zu lehren? Ein Bericht aus dem Ute Bock Bildungszentrum
Fast alle Teilnehmer*innen unserer Basisbildungs- und Alphabetisierungskurse sind polyglott – schon bevor sie Deutsch lernen. Die meisten sprechen mehr als nur eine Sprache. Bei uns sind das etwa Arabisch (unterschiedlich von Region zu Region plus Hocharabisch), Kurdisch, Türkisch, Bengalisch, Punjabi, Hindi, Farsi/Dari, Paschtu, Englisch, Mandika, Französisch, Chinesisch und mehr. Ich glaube, eine Teilnehmerin hat sogar Monokutuba gesprochen.
Als Lehrer habe ich selbst angefangen Arabisch zu lernen, um ein wenig die Selbsterfahrung meiner Schüler*innen nachzufühlen. Es ist ein Wahnsinn! Ich kann nach einem Jahr noch immer nicht viel. Die Herausforderung einer Sprache eines anderen Kontinents ist gewaltig.
Neben dem Kursbuch im Alphabetisierungskurs sind auch Lernkarten hilfreich beim Erfassen der neuen Sprache.
Foto: Flüchtlingsprojekt Ute Bock
Sprachverwandtschaften und falsche Freunde
Im Unterricht haben wir viele Sprachverwandtschaften gefunden, zum Beispiel sind Persich, Kurdisch und Punjabi indogermanische Sprachen. Modernere Neologismen kommen aus dem Englischen, ältere aus dem Französischen und Arabischen. Von Internet über Hosen und Algebra nutzen wir fast täglich Leihwörter aus sogenannten „Fremd“-Sprachen und sind uns doch weniger fremd, je besser wir uns verstehen können.
Natürlich gibt es auch „falsche Freunde“ in der Sprache. Wörter die homophon, aber keinesfalls synonym sind. Ich denke an einen Kurs, in dem wir über Fleischsorten geredet haben und sie mich fragten, was denn bitte unter Kalbfleisch zu verstehen ist. Im Arabischen bedeutet „kalb“ nämlich Hund, wobei das A anders betont wird. Ein „Kurs“ ist auf Arabisch ein Stuhl, was in Wien Sessel genannt wird. So kann man sich schon mal sehr verwirren. Unsere Kurse prägt der gute Willen und eine Verständnisbereitschaft. So können wir Missverständnisse schnell lösen.
Das Fremde und die Menschlichkeit
Verstehen ist nämlich nicht nur Wissenssache, sondern liegt auch im Gefühl. Ja, es ist vielleicht ein Luxus unserer Teilnehmenden, dass die meisten mehrsprachig aufgewachsen sind und vielleicht schon dadurch ein Gefühl für Verständnis und Unverständnis haben. Wir finden das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen, wenn wir gewillt sind, diese gemeinsamen Nenner zu finden.
So sind unsere Kurse manchmal ein lebendiger wandelnder Stein von Rosette. Ein großartiges Amalgam von Verständnis und Noch-nicht-Verständnis, Sprachen und Etymologien auf den gemeinsamen Nenner von Menschsein gebracht, im Kurs im gemeinsamen Bestreben sich mitzuteilen und die deutsche Sprache zu lernen. In diesem Land, das nicht mal dieselbe Sprache überall spricht. Von Hallo bis Servus, Seas über Pfiati, Grüß Gott und Griaß di, ist Deutsch eine Vielvölkersprache. Pluralität und Diversität von Kulturen, Sprachen und Völkern geht auch nicht verloren durch das Bestreben eine bessere Kommunikation aufzubauen. Was gibt es Menschlicheres als das?
Seit kurzem können die Kursteilnehmer*innen ihre digitale Skills mit gespendeten Laptops ausbauen und damit noch mehr Lernressourcen nutzen.
Foto: Flüchtlingsprojekt Ute Bock
Unser Flickenteppich mit Goldnähten
Sprache ist ein mächtiges Mittel der Kommunikation, deswegen lehren wir ja auch Deutsch. Aber Kommunikation ist so viel mehr als nur Sprache. Wir haben syrische Tänze gelernt, levantinische Küche entdeckt, Mentalitäten aus aller Welt und ein dazugehöriges, abweichendes Zeitverständnis. Herausforderungen, Hindernisse, aber hoffentlich nie Blockaden.
Missverständnisse sind häufig, aber sie sind so viel besser als ein Ausbleiben von Kommunikation. Das passiert meist nur, wenn es verboten wird oder von Behörden verunmöglicht wird. Wenn die Menschen nicht mehr kommen können oder nicht mehr bleiben dürfen. Und man spürt die Bereicherung, die ein*e jede*r Teilnehmer*in für den Kurs ist, sowie die unglimpfliche Verarmung, die ebenderen Abwesenheit meist bedeutet. Alle und jede*r sind kritische Bausteine in unserem Flickenteppich mit Goldnähten. Argonaut*innen auf verschiedenen Lebenswegen in verschiedenen Lebensrealitäten, verbunden durch ein reziprokes Verständnis, gelegentlichen Missverständnissen und allen anderen Diversitäten und Pluralitäten, die wir als menschliche Kommunikation und Existenz verstehen.
Mathias, Kursleiter für Basisbildung im Ute Bock Bildungszentrum